G.A.S.-Station, Berlin, 08.10.2010 - 04.02.2011
von Peter Funken
Definitionen und Annäherungen gibt es viele: das Ding ist das, dessen Benennung uns nicht einfällt, es bezeichnet alles mögliche, ähnlich wie die Wörter "Zeug" und "Sache". Ein Ding, so Jacques Lacan, stehe "im Zwiespalt zu sich Selbst". Die meisten wollen ihr Ding machen und dabei doch kein Ding drehen. Und dann bei Kant "Das Ding an sich", das wahre Sein, die wahre Wirklichkeit, so wie sie unabhängig vom erkennenden Subjekt erscheint, auch das "verrückte Ding, das es nirgends gibt", von dem Hannah Arendt sprach. Sie meinte den "wissenschaftlichen Mythos", an dem die Nazis bastelten. Also ein offener, ein allgemeiner Begriff, eine ganze aber eine ungenaue Welt. Diesem Ding widmet sich eine Ausstellung im Projektraum G.A.S.-Station, den die österreichischen Künstler Elisa Asenbaum und Thomas Stuck vor 2 Jahren eröffneten. Immer sind es thematische Ausstellungen, die die beiden kuratieren, zu denen sie auch Literaten und Wissenschaftler einladen. Die letzten handelten von Emotionen und dem Chaos. G.A.S.-Station steht für "Graphic Art Sound", versteht sich als Tankstelle für Impulse und als Künstlernetzwerk.
Die Selbsthilfegalerie basiert auf der privaten Initiative der beiden Betreiber, die nicht marktorientiert, sondern im Gedanken der Unabhängigkeit der Kunst arbeiten. In ihren Ausstellungen finden regelmäßig wissenschaftliche Veranstaltungen und Vorträge statt. In China wird ihre Website derzeit geblockt. Mit "Das Ding", so Thomas Stuck, nähere man sich einem Begriff, der deshalb aktuell und wichtig sei, weil man sich in dieser Zeit nur noch ungenau beschreiben könne und kaum exakte Trennlinien zwischen den Dingen und dem Selbst existieren.
Die beiden Ausstellungsmacher sind am Crossover von Kunst und Wissenschaft interessiert und an einer Themen orientierten Kommunikation. Dies betraf auch die Auswahl der Teilnehmer: für ihr Ding machten die Kuratoren Calls bei zahlreichen Plattformen im Netz und luden Künstler ein, Vorschläge einzureichen - doch ausschließlich zum Thema. Wenig Interesse zeigten sie für die Bekanntheit der Künstler, für deren Alter oder Geschlecht. Allein der konkrete Beitrag war von Bedeutung, und so bekamen sie auf ihre Offerte hin weit über hundert Einsendungen. Eine der Arbeiten stammt von Matthias Pabsch, der eine rechteckige, mit Rollen versehene Box aus Planbordplatten herstellte, die Anschlüsse für Stecker aufweist und ein Lüftungsgitter besitzt. Durch eine Plexiglasscheibe sieht man ins Innere der Skulptur, die leer ist. Eine Funktion versprechend, hält dieses Ding nicht Wort, es verschließt sich jeder Einordnung, jedem Gebrauch und beschreibt als technisch-philosophisches Objekt das Offene und Allgemeine des Dingbegriffs so klar und deutlich, wie kaum ein anderer Beitrag der Ausstellung. Dinge zu bezeichnen, setzt Sprache voraus, und so besteht die mit "unDING" betitelte Arbeit des Künstlers und Philosophen Dirk Müller aus dem, einem Haiku ähnlichen Satz "Man stelle sich vor: Der Grundgedanke war, ein unDing zu schaffen, das dort Ding ist, wo es nicht als solches bezeichnet ist, während dort, wo die Bezeichnung DING zu lesen ist, kein Ding ist." Mit der Unbeständigkeit und dem Wechselhaften des Dingbegriffs hat auch Thomas Struck operiert, als er einen Werbetext für die Ausstellung in einem Berliner Kunstmagazin veröffentlichen ließ. Er nahm den deutschen Ankündigungstext, ließ ihn von einem Sprachprogramm zuerst in Suaheli, dann ins Arabische, in Fasi, in die japanische und russische Sprache, ins Katalanische, Chinesische und wieder zurück ins Deutsche übersetzen, so dass folgende Ankündigung verbreitet wurde: "von DING - Information, im Gegensatz zu den grundlegenden Bedingung aller Datensätze von Dokumenten oder Arbeiten Licht, eine große Studie, wie die Idee einer Grenze - bis UNDING." Bislang fiel dies niemand auf und tatsächlich, auch dieser Text hat seine Wahrheit. Dass das Ding eine sexuelle Konnotation besitzen kann, zeigen gleich mehrere Beiträge, so etwa ein Foto des Chinesen Yikui (Coy) Gu, das einen nackten jungen Mann zeigt, dessen Geschlecht von einem schwarzen Balken verdeckt wird. Komisch daran, glaubt man der Form des Balkens, so würde mit ihm etwas unwahrscheinlich Großes unkenntlich gemacht. Eine weitere Arbeit dieser Rubrik besteht in der Addition von 900 Sexfilmchen auf einem Bildschirm, die Briefmarken klein sind. Im schwarz/weiß Gewusel der Filme liegt hin gegossen eine nackte Person, die sich aus kleinen Farbbildern zusammensetzt. Männer erkennen darin zumeist eine nackte Frau, Frauen vor allem einen nackten Mann. Diesen Videoloop betitelt Heike Nösslböck mit "Portrait", er ist Teil eines Triptychons der Künstlerin. In einem I-Pad vor dem Hintergrund rosa farbiger Lippen ist Elfriede Jelineks 2007 begonnener "Privatroman" zu lesen, eine Literatur, die ausschließlich im Netz existiert. Der in Berlin lebende Maler Thomas Sturm stellt ein Objekt aus, das aus zwei ähnlich großen Keilrahmen besteht, die von Schraubzwingen zusammengedrückt werden. Sichtbar sind nicht die bemalten Leinwände, sondern nur die Rückseite eines Rahmens mit der Titel gebenden "22" in Kastenschrift. Grelles Gelb und violette Farbspuren erkennt man auf der Bildseite der etwas größeren Malerei. "Die Arbeit möchte auf eine andere Vorderseite des Tafelbildes hinweisen, dessen Geheimnis das Verborgene, das Nichtsichtbare darstellt", schreibt der Künstler dazu.
Zahlreiche Fotos, Objekte, Malereien und Filme zeigt diese Ausstellung, die ihren Reiz auch daraus bezieht, dass die Kuratoren die Arbeiten sehr nah zu einander brachten und an die Wände hängten. Mit solcher Inszenierung entsteht ein All Over im Raum und somit eine Form der Installation, die Beziehungen zwischen den einzelnen Werken stiftet, überraschende Begegnungen der Kunstwerke ermöglicht und jeder Arbeit doch genug Platz zubilligt. Bei dieser Ausstellung, und das ist schön an ihr, gibt es viel zu sehen und zu entdecken. Die Dinge, dies wusste schon Montesquieu, hängen alle miteinander zusammen und wirken aufeinander ein.