von Peter Funken
Folgt man den Darlegungen des Autors, so fing es wieder einmal in einer Eckkneipe an: Thomas Kapielski sah dort eine zu Werbezwecken aufgestellte große, aufgeblasene Bierflasche, eine "Luftbouteille". "Da war sofort mein Einfall da: du nimmst jetzt mal dein gedrucktes Gesamtwerk her, stellst all die Bücher von Merve, Zweitausendeins, von Maas, Kramer, das zerzauste G.S.P. (Große Scheiße passiert!) und EVS-Zeug (Eigenverlag stinkt!) nebeneinander auf, schön mit Buchstützen links und rechts, und das lassen wir dann auch so aus Gummi als Aufblasstück herstellen! Und da haben wir dann eine Edition!"
Das war der Auftrag und das Ziel - eine Edition herzustellen. Der Auftrag kam vom Züricher Galeristen Aldo Frei, das Ziel war ein "Gesamtluftwerk", denn, so Kapielski: "Das Aufgeblasene, da rankt sich doch meine ganze Kunsttheorie dran auf. Dazu dieser gute Schuß Selbstzweifel. Wer ist gefeit vor Bluff und Blase? ... Andererseits war dem Publikum das schiere Destillat meines Werkes vergönnt; mein Geist, mein Pneuma, das sie mit dem ihren würden selbst aufblasen müssen! Getreu einer gewissen, kategorischen Rezeptionstheorie, würde der Besitzer meines Luftwerks dieses selbst mit Pneuma ausstatten, würde ein jeder mein Werk sich selbst (radikal) konstruierten und vermittels eigenen Geistes beatmen und beseelen müssen." Und nun ist sie da - die Edition "Gesamtluftwerk", in einer Auflage von 25 Exemplaren, bestehend aus einem buchartigen Karton, dessen hellblaue Oberfläche schaumige Strukturen wiedergibt - und in diesem Karton lagert das aufblasbare literarische Werk Kapielskis, samt einem Merve-Band, der den Titel "Anblasen - Texte zur Kunst" trägt. Dieses Büchlein lässt sich gesondert erwerben, sozusagen als luftig-schaumiges Extrakt, denn auch hier ist die Titelseite badschaumartig hellblau und die eckige Merve-Raute wurde "mit ganzer sachter Entasis, mit leichter Wölbung nach außen" versehen. Damit war jedoch dem Editionsprojekt noch nicht Genüge getan, denn Kapielskis "Gesamtluftwerk" wurde nun wiederum zum zentralen Gegenstand zweier Ausstellungen in Berlin und Zürich: a) Im Berliner Künstlerhaus Bethanien, wo unter dem Titel "Emolumente - Sammler zeigen ihre Kapielskis" eine Art von Retro der "Nebeneinnahmen" (= Emolumente) des in diversen Branchen tätigen Künstlers stattfand und man alten Bekannten, wie der "Hochstaffelei" oder dem "Klorollenriff" wieder begegnete. b) Die Ausstellung "Alles muß raus!" in der Galerie Marlene Frei, Zürich, zeigt 100 weitere Werke von T. K., wobei Frau Frei uns in der Einladung mitteilt: "Diese herausragende Persönlichkeit (gemeint ist T.K.) ist einer der interessantesten Künstler seiner Generation." Auf jeden Fall ist Kapielski ein ausgewiesener Selbstdenker, eine Parallelerscheinung zu Martin Kippenberger mit Berliner Mitteln, also mit allen Mitteln, der in "Anblasen" im Sprachstile Gracians oder Neuköllns über platonische Ideenmalerei, das Zeichnen, den Fotoapparat oder "Vom Katalogmachen" berichtet. Das Lesen dieses Buches macht Spaß, denn Kapielski ist im besten Sinne Anachronist und widerständig, einer, der griechische Philosophie, technisches Wissen, Bastelkunde und Lebenskenntnisse miteinander zu verbinden weiß - einer, der Denkzeichen setzt, auch um zu bezeugen, dass sein und unser Streben zum Schluss ein eitel und verblasen Ding ist. Bei aller Bemühung bleibt demnach auch die Kunst eine klug gesetzte Sache der Banalität, weil: "Gute Kunst setzt sich durch, weil man gut nennt, was sich durchsetzt."
Thomas Kapielski: Anblasen - Texte zur Kunst
128 S., 9,80 Euro, Merve-Verlag Berlin
ISBN: 3-88396-218-X Berlin 2006