von Peter Funken
In der Umgebung der Friedrichstraße in Kreuzberg gibt es viele Galerien, doch ist die 400 qm große Shedhalle "Forum Factory" vor Ort eine Besonderheit. Die multifunktionale Ausstellungshalle gehört keinem Galeristen, keiner Kunstinstitution, sie ist Bestandteil des Bildungsträgers "Forum Berufsbildung". Dort werden seit drei Jahren Kunst- und Galerieassistenten ausgebildet, wobei die Kursteilnehmer ihre Abschlussausstellung immer in der Halle präsentieren. Auch plant Dr. Riethmüller, Leiter von "Forum Berufsbildung", für das nahe gelegene Gelände der Blumengroßmarkthalle die Entwicklung eines großen Bildungs- und Kulturprojekts, das Maßstäbe setzen soll. Die "Factory" ist bereits jetzt zu einem Selbstläufer geworden, immer mehr Kuratoren und Künstler wollen dort ausstellen.
Nadine Broszehl, selber Kunstassistentin, initiierte mit Björn Loekel dort die Ausstellung "Metamorphosen und Mutationen", an der 15 KünstlerInnen teilnahmen. Im Einleitungstext schreibt sie: "Eine Ausstellung zum Thema kann auf verschiedenen Ebenen ansetzen, die wichtigsten sind die Wissenschaftsebene, die mythologische und die Kunstebene ... es geht um die Fragestellung, ob Kunst nicht selbst Metamorphose ist, ein Akt der Verwandlung, wird doch Farbe auf dem Leintuch zum Porträt und das Holz an der Wand zum Kreuz ... Eine Fragestellung der Ausstellung lautet: Kann Kunst auch als Mutation verstanden werden? Das Unvorhersehbare, das Zufällige, das Unbekannte, das der Mutation zugrunde liegt, bezeichnet im Eigentlichen das künstlerische Prinzip der Freiheit." Über diesen theoretischen Ansatz kann man streiten, aber das, was Brozehl und Loekel in der Ausstellung zeigten, war aufgrund der deutlichen Hinwendung und Betonung des künstlerisch Materiellen äußerst aussagekräftig. Das Material arbeitet mit, es verlangt nach Form und Gestaltung - manchmal bedarf es nur einiger gekonnter Handgriffe, wenn eine zündende Idee, besser noch, ein inspirierendes Konzept vorliegt.
Ein solches konnte man beim Ausstellungsbeitrag von Andreas A. Koch (*1961), der Dia-Projektionen und Fotos aus seiner umfangreichen Serie "Milchhäute" zeigte, sehr wohl erkennen. Die Milchhäute sind kleine Meisterwerke aus Milch und Fett, die Koch hergestellt hat, indem er jeden Morgen die Haut von der Oberfläche seines Kaffees entfernte und sie trocknen ließ. Was so über die Zeit entstand, sind bizarre Miniaturskulpturen, die unmittelbare Assoziationen hervorrufen. Man erkennt in den weißlich transparenten Formen einen Affenkopf, ein Kleid oder ein embryonales Wesen. Das Konzept stammt vom Künstler, die Form der Arbeit entwickelte sich aufgrund des chemischen Trocknungsprozesses, und letztlich mit der Entscheidung für ein blow up zum Fotobild und der Projektion auf die Wand. Die Serie reiht sich in Werkgruppen des Künstlers ein, bei denen der Zufall Mitgestalter ist. Ein grundlegendes Interesse an Durchlässigem, Dünnhäutigem und Körperhaftem charakterisiert Kochs gesamtes Arbeiten.
Auch bei der Installation von Stefan Ottermanns fand eine Verwandlung statt, hier im Sinne von Komprimierung und Konzentration: Ottermanns nahm Möbel und Elemente seines Studios und platzierte sie in der Halle auf einem Podest in richtiger Abfolge seiner Studioeinrichtung, sodass man durch zwei Säulen einen Ort betrat, der einen angesägten Arbeitstisch, gefüllte Regale, Künstlermaterial, Teile eines Schlagzeugs bis hin zum Vorgarten beherbergte. Die zusammen geschobene Wirklichkeit extrahierte dabei hoch verdichtet eine Art von Prototyp künstlerischer Laborsituation.
Eine filigrane, mehrteilige Skulptur aus Fundstücken sowie Fotoserien waren Ausstellungsexponate von Robert Ludwig (*1979). Meist arbeitet der Künstler installativ an Hauswänden oder Brückepfeilern, ebenfalls inszeniert er seine Arbeiten in Waschsalons, Hotelzimmern und Zugabteilen. Seine Skulptur in der Ausstellung besaß als Unterlage eine dunkelblaue Matte. Auf dieser waren ausrangierte Metallrohre, Stangen sowie Holzstücke ausgelegt, aneinander gelehnt oder gesteckt, so dass lineare Verbindungen entstanden, die aufstreben und am Boden verlaufende Struktur bilden. In ihrer gedeckten Farbigkeit von grau, schwarz und braun, wobei auch je ein gelbes und rotes Element mitspielten, erschien diese Arbeit zugleich chaotisch und doch elegant gebaut. Ludwig geht es, wie er sagt, um die "Eroberung des Nutzlosen", um eine "Vereinahmung von Orten".
Vier, von der Decke hängende Papierbahnen voller Risse und Schlitze formten die Skulptur "Zurück gelehnt -die alte Damen betrachtend" der Künstlerin Janine Gerber. Das Papier erfährt mit den Attacken auf die Oberfläche eine Verwandlung vom zweidimensionalen Zeichenträger zum 3-D-Objekt, von einer verschlossenen zu einer geöffneten Situation.
Gegenüber den genannten Arbeiten waren Malerei und andere Fotoarbeiten in der Ausstellung weniger spektakulär. Die schwarz-weiß Fotos von René N. Reiger (*1951), die einen halbierten Apfel zum weiblichen Geschlechtsteil umdeuten oder den gereckten Mittelfinger zum Penis, entwickeln längst nicht die magische Verwandlungskraft der "Hautbilder" des vergessenen, früh verstorbenen Fotografen Thilo Keil (1931-1969). Auch die gemalten Bilder - ob aus schwimmender Farbe entwickelt, wie bei Wladimir Prib, als Miniaturen bei Anna M. Reuter oder in Gestalt eines surrealen Stilllebens von Menno Veldhuis - wirkten eher beliebig.
Überzeugend war Corinna Weiners Assemblage "Die Füchsin", die Malerei und Objektkunst verbindet. In der Montage der gemalten Darstellung einer mit Fuchskopf maskierten Frau, eines realen Wandleuchters und des eingeklebten Spitzenvorhangs entstand eine seltsame Atmosphäre von Erotik und Gefahr.
"Metamorphose und Mutation" zeigte, dass künstlerisches Arbeiten nicht allein intellektuell geschieht, sondern sich in einem Prozess ereignet zwischen Material und Gestaltung, Form und ihrer Verwandlung. Metaphorisch gesprochen geht es darum, Hand anzulegen. Dass der Mensch denkt, verdankt er der Hand, denn sie informiert das Gehirn, das die Hand dann immer besser steuert. Auf solchem Weg entstehen Absichten und Konzepte, die Veränderung und Verwandlung ermöglichen. Dies konnte man in der Ausstellung sehend begreifen.